Am Ende des Tunnels

18 Mai Am Ende des Tunnels

RIG_Head

Liebe Wartende und Geduldsspieler,

aus dem selbst gewählten Exil melde ich mich, um Euch die neuste Wasserstandsmeldung zur Fertigstellung von „Terror“, unserem kommenden Opus Magnum, zu geben. Die gute Nachricht zuerst: wir sind endlich mit allen Aufnahmen fertig. Nach der Stimme von Antje von der Ahe, dem Orchester, Helens singender Säge, dem Chor, dem Schlagzeug, den unzähligen Gitarren und dem Bass sind nun auch die letzten meiner ausufernden Gesangsspuren unter Dach und Fach.

Was eigentlich reine Formsache darstellen sollte, entwickelte sich in den letzten Wochen zum reinsten Drama. Ich wollte doch nur noch ein paar Overdubs und Korrekturen einsingen und dann die finalen Spuren ausspielen. Doch nichts da! Nachdem ich zunächst in einem Anfall überbordenden Schaffensdrangs dutzende von Spuren neu einsang, nur um dann zu merken, dass bis auf die ursprünglich geplanten Korrekturen alles andere großer Mist war, ging mir auf der Schlussgeraden kurz vor der Staffelholzübergabe die Puste aus und ich verfiel in eine Art katatonische Starre. Der Akku war leer, die Kraft verflogen.

Zwar sagte ich mir immer wieder, dass es höchstens noch ein bis zwei Tage dauern würde, die Arbeiten abzuschließen, doch es war nichts zu machen. Eine innere Wegfahrsperre hinderte mich am Fortkommen. Früher waren diese Wechsel zwischen Euphorie und Erschöpfung ständige Begleiter von JANUS, aber die fortschreitende Professionalisierung unserer Arbeit ließ sie glücklicherweise aussterben. „Terror“ hat sie nun zurückgebracht. Vermutlich liegt es an der Tragweite der selbst gestellten Aufgabe. Wir wollten unser bis dato ambitioniertestes Projekt und wir haben es bekommen. Seit 2018 arbeiten wir mit stetig steigender Intensität an dem über halbstündigen Lied, das wir halb scherzhaft, halb im Ernst unsere kleine „Doom-Metal-Sinfonie“ nennen.

Dieses Jahr wird das Werk endlich erscheinen, falls uns nicht der Himmel auf den Kopf fällt. Trotzdem kommt keine Freude auf. Ganz im Gegenteil. In die Erleichterung, dass die Arbeiten langsam aber sicher zum Abschluss kommen, mischt sich mehr als nur ein Schuss Schwermut. Wir haben Probleme loszulassen. „Terror“ ist so sehr ein Teil von uns geworden, dass wir uns dabei ertappen, wie wir den Projektabschluss teilweise verschleppen, um den Abschiedsschmerz zu umgehen. Solange wir noch weiter am Lied basteln und werkeln, ist noch nichts endgültig. So lange hält diese wundervolle Reise noch an. Solange müssen wir uns nicht erneut aufraffen und neue Ziele finden, die dem immer bräsiger werdenden inneren Schweinehund eins auswischen. Viel zu grell, dieses Licht am Ende des Tunnels.

ANDERE MENSCHEN GÄRTNERN ODER MACHEN ORIGAMI, RIG VERBRINGT STUNDEN DAMIT, LAUTSTÄRKEN UND PAN REGLER ZU PROGRAMMIEREN.

Ich kann mich noch sehr gut an ein Erlebnis im Sommer 1995 erinnern. Toby und ich hatten gerade die Arbeiten am „Schlafende Hunde“ Demo beendet, unserer ersten Arbeit unter dem Namen JANUS. Für uns war es eine Art Erweckungserlebnis. Wir hatten das Gefühl, etwas Großartiges geschaffen zu haben. Aber in den Stolz mischte sich Wehmut. Wir saßen schweigend und nachdenklich in Tobys „Studio“, das damals im Wesentlichen 80% seines Zimmers in einer kleinen Villa einnahm, die er zusammen mit einigen Mitbewohnern als WG behauste. Regelmäßig fanden dort äußerst amüsante Parties statt, so auch an diesem Abend. Immer wieder öffnete sich zaghaft die Türe und fröhliche, zunehmend angesäuselte Menschen steckten ihre Köpfe zu uns hinein. „Kommt ihr gleich?“, war die viel gestellte Frage, „Klar doch!“ die gelogene Antwort. In Wirklichkeit blieben wir einfach dort sitzen, während langsam die Dunkelheit hereinbrach und weder Toby noch ich die Energie aufbrachten, das Licht anzumachen. Wir waren erschöpft und auch traurig, dass unsere Reise nun am Ende angekommen war. Würde es uns jemals gelingen, etwas besseres zu erschaffen, als diese vier Lieder? Wir waren uns nicht sicher.

Wenn ich jetzt auf unsere Arbeit an „Terror“ blicke, überkommen mich ganz ähnliche Gedanken und Gefühle. Ich deute das mal aus gutes Zeichen. Keine Kunst ohne Schmerz. Wir werden auch diesen Achttausender bezwingen. Zumindest habe ich das Staffelholz erst einmal an Emil weitergereicht, der nun die Gesänge und das Orchester in seine Arbeitsversion integriert und sich an den finalen Mix macht. Da kann nichts mehr schiefgehen.

Obwohl… Wollte Toby nicht nochmal ein paar seiner Keyboards und Samples „optimieren“? Verdammt, mir schwant böses…

Besorgte Grüße aus dem Tunnel

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