28 Jun Die Kiste
„Sie küsste mich und sagte
das hier ist dein Zuhaus.
Ich sah mich um und dachte
so sieht es also aus.“
RIG erzählt:
„Die Kiste“ ist typisch JANUS und damit auf „Ein schwacher Trost“ eine Ausnahmeerscheinung. Ganz bewusst haben wir das Lied in der Mitte des Albums platziert, als monolithischen Kern, der alles zusammenhält. Der Text folgt keinem herkömmlichen Liedschema, kennt keine Strophen und Refrains, er gleicht eher Balladen, wie „Kinderkreuzzug“ oder „Jean Weiss“. Man merkt, dass ich viel Kafka gelesen habe, als ich den Text schrieb. Tilman, der Arrangeur der hervorragenden Orchesterpassagen, fühlte sich gar an „Ein Landarzt“ erinnert, eine Sichtweise, für die es Argumente gibt. Die Schicksalsergebenheit und Passivität des Protagonisten, sowie die ansatzlose Verschmelzung scheinbar realer und völlig surrealer Komponenten sind in der Tat kafkaesk. Um diesen mehr als siebenminütigen Riesen zu bezwingen, planten Toby und ich mehrere Sitzungen ein. Zum Ende der ersten Kompositionsrunde schienen sich unsere Befürchtungen denn auch zu bewahrheiten. Wir bewegten uns im Ungefähren und wollten die Skizzen kurz auf dem Smartphone festhalten, als etwas Wunderliches geschah. Während der Aufnahme hörten wir einfach nicht auf zu spielen und machten immer weiter. Wir improvisierten uns durch das komplette Lied, intuitiv fügten wir die losen Versatzstücke in immer neuen Variationen und teilweise auf Zuruf („Nochmal acht Takte!“) aneinander. Ein magischer JANUS-Moment. Am nächsten Tag beim Probehören waren wir darauf gefasst, alles noch einmal zu überarbeiten und zu verbessern. Aber auch mehrfache kritische Analysen fanden nichts zu bekritteln. Und so ist das Lied heute in genau dieser Fassung ausproduziert und auf das Album gepackt worden. Wenn es doch nur immer so einfach wäre.
Toby erzählt:
Oft entstehen Musikstücke bei JANUS nach einer Art Zwiebelschalenprinzip: Es beginnt mit einer kleinen Idee, um die herum sich dann Schale für Schale das Stück erweitert, bis es irgendwann fertig ist. Die Komposition zu dem Lied „Die Kiste“ verlief gänzlich anders. Da mich die Länge des Textes gleich zu Anfang insofern völlig überforderte, als dass ich überhaupt keine Idee für eine Akkordfolge hatte, fing ich einfach an, intuitiv bis verzweifelt, irgendetwas zu spielen. Ich lavierte um den Ton H herum, was mir irgendwie sinnvoll schien und fand den Klang von F-Dur mit verminderter Quinte gut. Wir hatten also 4 Harmonien und eine kleine Melodie, die sich wie ein Intro oder Zwischenspiel anhörte. Um diese ersten Akkorde herum waren wir dann tastend auf der Suche nach einem Wegweiser durch das kafkaeske Labyrinth des schier endlosen Textes. Leider kann ich zur weiteren Entstehung des Stückes nicht viel erzählen, da ich es nicht wirklich bewusst erlebt habe. Es war einfach so, dass sich bestimmte Töne richtig angehört haben und andere falsch und so fügte sich schlafwandlerisch Note an Note. Wir steckten noch mitten in der Entstehung, mit mehreren losen Fragmenten, als wir beschlossen, einen Mitschnitt der ersten Ergebnisse zu machen, um nicht alles zu vergessen. Dass sich während der folgenden Aufnahme, praktisch on the fly, nur durch gegenseitiges Augenzwinkern, Zunicken und Zwischenrufe das ganze Stück wie von selbst zusammenfügte, war dann eine einzigartige und auch etwas gespenstische Erfahrung.
Fotos: Oliver Haas
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