12 Okt INTERVIEW: Weshalb Dolores erblondete und andere Geschichten
Mit dem kommenden Release von „Kleine Ängste Deluxe“ vor Augen, hat sich JANUS Chronistin Diana Busch einmal ausführlich Oliver Schlemmer zugewandt. Sie besuchte den Grafiker und Illustrator in seinem Domizil hoch über Wiesbaden und entlockte ihm neben zahlreichen Einsichten zur Arbeitsweise mit JANUS und den Kleinen Ängsten auch die ein oder andere Anekdote zum Schmunzeln.
Oliver, für diejenigen, die nicht so genau mit der JANUS Historie vertraut sind, möchte ich einleitend die Frage stellen, wie lange du im Hintergrund schon mit von der Partie bist und welche der JANUS Welten du zuvor bildlich bereits zum Leben erweckt hast.
Oli: Das ist eine lange Geschichte. Ich war von Anfang an dabei, quasi beim Kochen der Ursuppe. Noch bevor es JANUS überhaupt gab, hatten Toby, RIG und ich schon den Ehrgeiz, Bild- und Klangwelten miteinander zu vereinen. Damals nannten sich JANUS noch „Rorschach“ und es existierte eine Demo-Kassette mit ersten Liedern zu denen ich mehr gewollt als gekonnt die ersten schwarz-weißen Bildchen für die einzelnen Liedern gepinselt habe. Malen am Computer gab es noch nicht, Farbdrucker für zuhause auch nicht, daher wurde alles auf echtem Papier erstellt, fotokopiert, ausgeschnitten und in jede einzelne Kassettenhülle eingefaltet. Das erste „professionelle“ Artwork, für JANUS entstand dann am Computer. Das muss so Mitte der 90er Jahre gewesen sein. Seitdem habe ich in mehr oder weniger großem Umfang an allen JANUS Produktionen mitgewirkt. „Vater“, „Schlafende Hunde“ und „Kleine Ängste“ sind für mich sehr persönliche, große Projekte gewesen, bei „Auferstehung“ und „Nachtmahr“ war ich eher im Hintergrund tätig, während Alessandro Bavari den wesentlichen Anteil an der Bildgestaltung übernahm.
Für viele JANUS-Jünger sind die Lieder mehr als nur Musik. Das gilt ebenso für die Texte, denen eine große Bedeutung zugemessen wird, aber auch den zahlreichen Artworks und Illustrationen. Bist du dir dessen bewusst, wenn du an den Bildern arbeitest? Und wenn ja, verändert es deine Herangehensweise, zu wissen, dass auch kleinste Details später analysiert werden?
Oli: Ist das so? Naja, vermutlich. Ich habe als Kind auch ewig über den LP Covern von Iron Maiden, Jeff Waynes „War of the worlds“ , Marillion oder Pink Floyd gebrütet und jedes Detail in mich aufgesaugt. Allerdings waren die Artworks damals noch stolze 30x30cm groß. Mit den CDs hat die Bildkunst für Tonträger einiges an Bedeutung verloren. Es ist erfreulich, dass bei JANUS die Optik immer eine sehr große Rolle gespielt hat. Bei der Konzeption der Bilder fließen eine Menge Ideen und Einflüsse ein und das spiegelt sich auch in vielen Details wieder. Auf den kleineren CD-Formaten kann man die vielleicht nicht mehr so leicht erkennen, wie damals auf den LP Covern, aber sie sind dennoch vorhanden. Ich denke da vor allem an die „Schlafende Hunde Deluxe“, wo es in vielen der doppelseitigen Bilder einiges zu entdecken gibt. Das meiste davon ergibt sich allerdings quasi von selbst. Die JANUS Welten sind sehr umfangreich und man hat immer viel zu viele Optionen für viel zu wenige Bilder. Deshalb ist das eher ein unbewusster Prozess, bei dem man am Ende selbst erstaunt ist, was alles seinen Weg in ein Bild gefunden hat.
Gerade arbeitest du mit RIG zusammen an „Kleine Ängste Deluxe“. Wie war es für dich, sich nach einigen Jahren nochmal aufs Neue mit den kleinen Ängsten auseinanderzusetzen?
Oli: Jemand hat einmal gesagt, dass Kunst nicht beendet, sondern nur verlassen werden kann. So ist es auch mit den Kleinen Ängsten. Dolores kurzer Ausflug in das Land unter dem Bett ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einer sehr viel größeren Geschichte. Bei JANUS geht es vorrangig um das Bauen von Welten, weniger um einzelne Songs allein. Jedes JANUS Album ist ein Ausschnitt aus einem Gesamtkonzept, das unabhängig von der einzelnen Veröffentlichung existiert und in den Hinterköpfen der Beteiligten weiterlebt. Genauso wie ich die Welt von Mr. Drown nie wirklich verlassen habe, kommen mir auch zu „Kleine Ängste“ immer wieder neue Ideen. Meistens existieren diese dann eine ganze Zeit lang nur als Skizzen auf einer Serviette oder kurze Notizen auf einem Blatt Papier. Aber wenn sich eine Gelegenheit wie diese bietet, tragen wir all die verlorenen Seiten zusammen und wählen aus, was in die neue Produktion mit einfließen soll.
Was genau wird sich an den Artworks denn verändern im Gegensatz zum Original? RIG meinte, es wären einige verschollene Seiten aus der ursprünglichen Kurzgeschichte aufgetaucht, was immer das auch bedeuten mag.
Oli: Da wären zunächst einmal die „Restaurationsarbeiten“ an den alten Artworks. Die sind mittlerweile 12 Jahre alt und man sieht mit so viel Abstand einiges, was man damals gerne anders gemacht hätte, aber nicht besser machen konnte, weil die Erfahrung oder das Können gefehlt hat. Das sind Kleinigkeiten, die den meisten Leuten gar nicht auffallen dürften, die mir aber schon immer ein Dorn im Auge gewesen sind. Dann gibt es die neuen Bilder. Diese geben einen Einblick in die Welt unter dem Bett, der nicht mehr in die Geschichte des Hörbuches gepasst hat. Da gibt es einige monströse Geschehnisse, die so schrecklich sind, dass sie jemand aus dem ursprünglichen Lauf der Geschichte herausgerissen hat. Vieles davon ist verschollen und wird vielleicht nie wieder auftauchen. Was gefunden wurde, hat RIG gesammelt und es wird jetzt mit Kleine Ängste Deluxe zum ersten Mal einem größeren Publikum vorgestellt.
Für Kleine Ängste Deluxe hat Dolores eine Blondierung erhalten.
Mir ist aufgefallen, dass Dolores jetzt blond statt schwarzhaarig ist. Was hat es damit auf sich? Weshalb die Änderung?
Oli: Ja, das ist eine etwas peinliche Geschichte. Als wir 2003 anfingen an „Kleine Ängste“ und „Auferstehung“ zu arbeiten, sind viele Dinge gleichzeitig passiert. RIG und Toby waren im Studio vergraben und feilten an den Liedern, gleichzeitig musste das Hörbuch eingesprochen werden und parallel dazu malten Marko Djurdjevic und ich an den Bildern. Ich hatte zwar immer Einblick in die Entstehung der Texte, habe den Satz mit Dolores blonden Haaren aber wohl einfach überlesen. Außerdem war für mich immer das Cover von Alessandro zu „Auferstehung“ die Referenz gewesen, da beide Bilder sich ja entsprechen sollten. Und die Dame auf „Auferstehung“ hat nun eindeutig schwarze Haare, also malte ich auch Dolores Haare schwarz. Es war Marko der mich dann, als alles schon fertig und im Druck war, etwas bestürzt fragte, warum Dolores denn nicht blond sei? Wir haben lange überlegt, ob wir bei der Neuauflage nicht lieber alles beim alten lassen sollten, denn wie das so ist, irgendwann gewöhnt man sich an alles und im Laufe der Zeit ist uns allen Dolores mit den schwarzen Haaren ans Herz gewachsen. Aber dadurch, dass sie nun endlich die „richtige“ Haarfarbe bekommt, werden die alten CDs einmal mehr zu etwas ganz besonderem.
Ist es nicht schwierig, so eine Überarbeitung alter Artworks vorzunehmen? Einerseits will man Dinge verändern und verbessern, aber andererseits verbinden die Meisten mit den Originalbildern zahlreiche Gefühle und sehen Änderungen generell kritisch.
Oli: Eine Neubearbeitung alter Werke ist immer eine heikle Angelegenheit. So etwas kann furchtbar schief gehen, wie man bei den immer wieder neu editierten Fassungen einer berühmten Science Fiction Filmreihe sieht. Natürlich gerät man schnell in die Versuchung, mit dem gewachsenen Wissen und dem vergrößerten Repertoire an handwerklichen Fähigkeiten das Rad quasi neu zu erfinden. Aber zum Glück tritt RIG sehr energisch auf die Bremse, wenn ihm Änderungen zu weit gehen, oder die Neubearbeitung zu sehr vom alten Gefühl der Artworks abzuweichen droht. Immer wieder höre ich dann ein brummiges: „Nein, das ist nicht mehr so wie es sein soll“, wenn ich mit den Änderungen zu weit gegangen bin. Allein das Bild für „Die letzte Tür“ ist durch insgesamt mehr als 23 Fassungen gegangen, bis RIG und ich am Ende zufrieden waren. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum sich die Produktionen immer so lange hinziehen, aber entweder man macht es richtig oder gar nicht. Generell ist es ein schwieriges Abwägen. Ich habe volles Verständnis für jeden, der nicht möchte, dass man an seinem „Original“ rüttelt, und der sich in den bearbeiteten oder neuen Artworks nicht wiederfindet. Ich hoffe, dass wir bisher in der Neubearbeitung so behutsam vorgegangen sind, dass der Bruch zu den alten Werken nicht spürbar ist. Wir versuchen, immer so viel Neues einzubauen, dass es auch für Puristen etwas spannendes zu entdecken gibt.
Mit den Bildwelten bei JANUS ist es wie mit der Musik: alles entsteht im Zusammenspiel hochtalentierter Kreativköpfe. Für „Kleine Ängste“ hat etwa Marko Djurdjevic die Zeichnung angefertigt, die du dann koloriert hast. Das aufwändige Layout hat Oliver Graute zusammen mit dir und RIG ausgetüftelt. Ist so eine Kollaboration etwas Anstrengendes oder treibt man sich gegenseitig an?
Oli: JANUS hatte immer eine sehr stark inspirierende Wirkung auf kreative Geister. Ich weiß nicht, wie die Jungs das schaffen, aber die Liste an talentierten Künstlern, die ihren Teil zu den Projekten beisteuern, ist beeindruckend. Dabei ist es aber nie nur „ein Job“. Alle Beteiligten werden Teil der großen JANUS Familie. Das klingt wie eine Sekte, aber im Gegensatz zu echten Sekten, bekommen die Mitglieder hier zumindest Geld, statt ihrerseits Hab und Gut für die große Sache hergeben zu müssen. Etwas an der Leidenschaft, die die Projekte vorantreibt hat eine sehr starke Sogwirkung. Ich denke, das liegt in der Ehrlichkeit der Musik und der Texte. RIG hat einmal gesagt, dass er mit JANUS die Musik macht, die er am liebsten hören würde, die aber keiner bisher gemacht hat. Im Grunde ist es mit den beteiligten Künstlern ähnlich. Für viele ist die Arbeit an einer JANUS CD auch die Möglichkeit, etwas zu machen, für das man ansonsten vielleicht nie die Gelegenheit bekommt. Für mich ist es vielleicht noch einmal etwas anderes, da ich RIG und Toby schon seit so vielen Jahren kenne und die gemeinsamen Projekte auch immer aus den gemeinsamen Erfahrungen heraus entwickelt wurden. Wenn dann noch Einflüsse von außen hinzukommen, wie etwa die grandiosen Bildwelten eines Alessandro Bavari, dann fühlt man sich umso mehr inspiriert und angespornt. Ich habe das immer als etwas ungemein Motivierendes empfunden. Am Ende hat man ein Ergebnis aus der gebündelten Kraft ganz vieler unterschiedlicher Menschen und dieses Ergebnis ist größer als die Summe seiner Einzelteile.
Die Original Zeichnung von Marko Djurdjevic
„Kleine Ängste Deluxe“ kommt als Hardcover Buch und ist doppelt so groß wie eine normale CD. So kommen die Illustrationen besonders gut zur Geltung, oder?
Oli: Wie ich bereits erwähnt habe, finde ich die Reduktion auf die 12cm einer CD etwas nachteilig für Artworks. Dass Kleine Ängste jetzt auf ein deutlich größeres Format aufgestockt wird, freut mich sehr. Allerdings ist dann die Gefahr auch größer, dass Fehler und Patzer stärker auffallen. Deshalb werde ich diesmal ganz besonders aufpassen und die Produktion wird dadurch natürlich mehr Zeit in Anspruch nehmen. Zum Glück hat RIG ja eine Veröffentlichung erst für 2019 oder so geplant.
Soweit ich weiß, ist „Kleine Ängste Deluxe“ für 2017 angekündigt.
Oli: Was? 2017? Da muss ich gleich nochmal schauen. Das wäre ja … bald.
Besser du hältst dich ran. Was anderes. Im Original ist „Kleine Ängste“ ein amerikanisches „Pen & Paper“ Rollenspiel. Die Geschichte von RIG ist lose daran angelehnt. Hast du dich auch für die Bilder von dem Rollenspiel beeinflussen lassen?
Oli: Ich habe mich natürlich mit dem Rollenspiel beschäftigt, am Ende aber war der Text von RIG ausschlaggebend für das Aussehen der Bilder. Das Rollenspiel beschäftigt sich naturgemäß etwas allgemeiner mit dem Thema Kindheitsängste, wohingegen RIG eine sehr spezielle Geschichte erzählt, die dementsprechend bebildert werden musste. Besonders solche Kreationen wie Lemuren oder die Baumfrauen gehen ein bisschen über das hinaus, was man im Rollenspiel selbst finden kann. Wenn ich mich recht entsinne, gab es in den alten Dungeons & Dragons Rollenspielen der frühen 80er aber tatsächlich einen Hirnsammler, der mehr oder weniger bewusst der Ursprung des Augensammlers gewesen sein könnte.
Mit „Kleine Ängste Deluxe“ steigt die ursprüngliche nur als „Auferstehung“-Anhängsel geplante MCD zusammen mit dem begleitenden Hörbuch zum eigenständigen Werk auf. RIG meinte einmal, dass du dich über die Jahre hinweg immer wieder dafür stark gemacht hättest, „Kleine Ängste“ zu emanzipieren.
Oli: Ich fand es immer ein wenig schade, dass die Geschichte um Dolores und ihrer Reise in die Welt unter dem Bett über zwei unabhängige Publikationen hinweg aufgeteilt war. Es machte damals Sinn, die MCD mit Auferstehung zu koppeln, da es inhaltlich um ähnliche Themen ging. Als dann aber das Hörbuch hinzukam, war es für mich eine logische Konsequenz, den gesamten Dolores-Komplex als eigenes Werk zusammenzufassen. Genau wie bei „Vater“ und „Schlafende Hunde“ haben sich im Laufe der Zeit unzählige Skizzen und Ideen angehäuft, die darauf warten, das Licht der Welt zu erblicken. Die Lemuren tauchen zum Beispiel in der einen oder anderen Form immer wieder in meinen Skizzenbüchern auf, da es sich bei ihnen um faszinierende Geschöpfe handelt, über deren genaues Aussehen und Funktion ich mir bis heute nicht ganz im Klaren bin. Zum Augensammler gibt es mittlerweile etliche Ideen, über seinen Lebenszyklus bis hin zu seinen kleinen Helfern, die dem blinden Ungeheuer den Weg zu der begehrten Beute weisen. Was am Ende den Weg in das Artwork findet darf ich nicht verraten, aber die Welt unter dem Bett bietet noch so viel Stoff, dass es mit „Kleine Ängste Deluxe“ mit Sicherheit noch nicht zu Ende erzählt ist.
Zum Abschluss eine etwas persönlichere Frage, die hoffentlich in Ordnung geht: was waren deine kleinen Ängste, als du so alt warst wie Dolores?
Oli: Da gab es eine ganze Reihe von kleinen und auch großen Ängsten. Am meisten habe ich mich vor einem katzenartigen Wesen mit glühenden roten Augen gefürchtet, das ich nachts hinter jeder Ecke vermutet habe. Malen hatte schon damals eine sehr therapeutische Wirkung und ich denke, dass es mit der Musik von JANUS ähnlich ist. Vielleicht kann sich der ein oder andere mit seinen kleinen Ängsten in der Musik oder den Bildern wiederfinden. Auf jeden Fall ist es eine spannende Reise gewesen, die noch lange nicht zu Ende ist.
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