25 Sep „Musik ist die einzige Kunst, die dich hinterrücks überwältigt.“
Diana Busch: Alessandro, du bist ein Künstler mit erstaunlichen Fähigkeiten: einerseits ausgebildeter Musiker und Fotograf, andererseits exzellenter Maler und Animator. Wenn du von deinen Fähigkeiten eine einzige auswählen müsstest, könntest du dich festlegen?
Alessandro Bavari: Natürlich Musik, denn sie ist die einzige Kunst, die dich ohne Vorwarnung hinterrücks überwältigen kann. Und wenn sie das tut, tut sie es auf unmittelbare Weise, von der ersten Note an. Als Kind war ich überzeugt davon, dass ich einmal ein Musiker werde, doch das ist nie geschehen, auch wenn ich immer noch zu meinem persönlichen Vergnügen komponiere und spiele. Ich denke, dass auch das Kino einen ähnlichen Effekt haben kann, aber verglichen mit Musik hat es nicht dieselbe Unmittelbarkeit. Was die visuellen Künste betrifft, ist es selten, Gefühle mit derselben Intensität allein durch das Betrachten einer Fotografie oder eines Gemäldes zu durchleben. Das letzte Mal, dass ich so empfunden habe, war in der Londoner Nationalgalerie letztes Jahr, als ich vor einem Rubensgemälde stand.
Diana: Auf eines deiner Hauptwerke, Metachaos, ist sogar der amerikanische Produzent und Regisseur Ridley Scott aufmerksam geworden, der dich für seinen aktuellen Film Alien: Covenant engagiert hat. Als großer Alien und Blade Runner Fan kann ich mir gut vorstellen, dass das auch für dich ein besonderer Moment war. Wie kam es zu dieser Kollaboration und bist du mit dem Ergebnis zufrieden?
Alessandro: Alles begann mit einer E-Mail von 20th Century Fox, die mich für den Film anfragten. Ich traf Ridley Scott dann in London, wo wir über Kunst, Musik, Gemälde und das Kino redeten. Er bat mich, eine Sequenz für den Film zu erstellen, genauer gesagt die Szene mit Davids Erinnerungen; und er sagte mir: „Alessandro, ich möchte keine Kopie von Metachaos, aber ich möchte, dass die Szene von Metachaos inspiriert ist!“ Ich arbeitete in Folge als Concept Artist, um die Planung und das Design der Szene vorzunehmen. Die Szene selbst sollte sehr klar aufgebaut sein, mit tausenden von Charakteren die sich in eine einzige epische und gewalttätige Aktion stürzen. Zusätzlich habe ich noch die Produktion als Creative Director überwacht. Das Schönste an der Zusammenarbeit war die große Freiheit, die Ridley mir zugestand. Er gab mir die Gelegenheit die Szene nach meinem Geschmack auszugestalten und war sehr enthusiastisch, was meine Ideen und Vorschläge betraf. Außer der Erinnerungsszene beschäftigte ich mich auch mit dem Verhalten des Neomorphus, einem neuen Alien das in Alien: Covenant zum ersten Mal auftaucht.
METACHAOS | Das verstörende Meisterwerk von Alessandro Bavari, das Ridley Scott inspirierte
Diana: Lass uns ein wenig über Musik sprechen. Hörst du als Musiker, der du bist, eigentlich auch Musik während du an anderen Dingen arbeitest? Und falls ja, welche Art von Musik inspiriert dich während du malst oder animierst?
Alessandro: Musik ist ein ganz zentraler Stimulus für meine Kreativität. Sie ist eine unabdingliche Zutat, die die Ideen erst zum Sprudeln bringt. Wenn ich in mein Studio gehe, ist das erste, was ich mache, die Stereoanlage aufzudrehen und meine Deezer Playlist zu starten. Das letzte, was ich mache, bevor ich gehe, ist die Anlage wieder auszuschalten. Ich höre eine Vielzahl an Stilen, da jedes Genre mich in eine unterschiedliche Stimmung versetzt und mir neue Inspirationen eröffnet. Das geht von zeitgenössischer Klassik wie z.B. Arvo Part, Henryk Gorecki, Julia Kent, Johann Johanson, über Jazzcore wie etwa Zu oder Zeus hin zu elektronischer Musik und Independent Music allgemein. Wenn ich ein Coverartwork kreiere, so wie es in der Vergangenheit oft mit JANUS der Fall war, tauche ich in ihre Lieder ein und höre sie mir dutzende Male an. Ich versuche dann mental mit den Klängen zu verschmelzen und lasse den Ideen ihren Lauf. So funktioniert es auch mit den Videos. In einigen Fällen materialisieren sich die Ideen ganz spontan, und geben gewissermaßen die Inhalte und Ausrichtung vor, so wie es zum Beispiel bei „Arturo“ und „Ludi Florales“ der Fall war, zwei experimentellen Videos, die ich in den letzten beiden Jahren gemacht habe.
LUDI FLORALES | Das experimentelle Video zeigt, wie meisterhaft Alessandro Musik und Animation verbindet
Diana: Du hast, wie bereits angedeutet, in den letzten Jahren zahlreiche JANUS Alben visuell gestaltet, etwa „Auferstehung“, „Nachtmahr“ oder jetzt „Ein schwacher Trost“, Wie kommt eine unbekannte, deutsche Indie-Band (RIG meinte, ich dürfe das ruhig so schreiben!) in Kontakt zu einem großartigen italienischen Künstler? Erinnerst du dich noch daran, wie die Zusammenarbeit einst begann?
Alessandro: Keine Ahnung, wie unbekannt sie sind, aber am Ende des Tages, zumindest für mich, gehörten sie immer zu den Guten! Und morgen ist schließlich auch noch ein Tag. Der erste Kontakt mit den „unbekannten“ JANUS kam jedenfalls vor fünfzehn Jahren zustande, als die beiden an „Auferstehung“ arbeiteten. Bis dahin kannte ich die Band nicht, aber ich muss sagen, dass es eine echte Offenbarung war, das Album zum ersten Mal zu hören. Die akustischen und orchestralen Elemente einiger Lieder wechselten mit Leichtigkeit durch die Hinzunahme elektronischer oder rockiger Elemente in eine gewalttätige Stimmung, ohne je die poetische Grundstimmung zu verraten. Ich konnte einen ersten Überblick über ihr Schaffen erlangen und ohne größere Anstrengungen direkt erspüren, wie das Cover des Albums werden sollte. Ich sehe immer noch wie in einem Film flüchtige Gestalten, die sich als Geister vor dem Hintergrund der U-Bahn Roms manifestieren und einen Strom von Menschen die in und aus den Wagons fluten. Der fotografische Ansatz war technisch nicht ganz einfach und ich hatte mich dazu entschieden, mit sehr langen Belichtungszeiten zu fotografieren. Die Impressionen sollten spontan wirken, um alles sehr vage erscheinen zu lassen. Ich konnte das Resultat nicht sofort sehen, wie es heutzutage mit digitalen Kameras der Fall ist. Unabhängig vom Licht, der Hektik vor Ort und der ständigen Bewegung der Menschen verließ ich mich auf die Erfahrung, die ich über die Jahre mit dieser experimentellen Methode gewonnen hatte. Ich erinnere mich noch gut daran, wie nervös ich war, als ich auf die Entwicklung der Negative wartete, unwissend was ich von der Aufnahmesession zu erwarten hatte.
Diana: Aus meiner Sicht formen die Musik und Texte von JANUS und deine einzigartigen Artworks eine Art Allianz, bei der sich die Einzelteile gegenseitig ergänzen und eine zusätzliche Bedeutungsebene erschaffen. Gibt es da eine spezielle Art, wie du an Arbeit herangehst, wenn sich Bilder mit Musik verbinden?
Alessandro: Das stimmt. Ich empfinde das genauso. Nach so vielen gemeinsamen Projekten mit JANUS, sehe ich die andauernde künstlerische Zusammenarbeit mit Tobias und Dirk mehr als schicksalhafte Kollaboration mit zwei entfernten Cousins statt einer bloßen Allianz. Ich würde sagen, die Art der Zusammenarbeit hat sich kaum verändert in all den Jahren. Ich versinke emotional in den Noten der Musik und warte auf den Funken, der sich jedes Mal ohne Vorwarnung entzündet. Die Musik von JANUS ist da sehr inspirierend. Die Melancholie und Impulsivität ihrer Lieder lässt die Bilder und Visionen in meinem Kopf beinahe spontan entstehen.
Diana: Für das Album Auferstehung hast du ein sehr ikonografisches Kunstwerk erschaffen, das eine Frau mit einem Messer zeigt, die von geisterhaften Gestalten umringt wird. Für viele JANUS Hörer symbolisiert sie mit ihrer Fragilität und Unnahbarkeit Paula, die quasi die Hauptfigur auf Auferstehung darstellt. Wie hast du Paula gefunden? Ist es schwer, die richtigen Modelle für Kunstwerke zu casten?
Alessandro: Ja, das ist in der Tat schwer. Wenn du dir sehr spezielle Charaktere in deinem Kopf vorstellst, weißt du oft nicht, wo du nach ihnen suchen sollst. Manchmal vielleicht, weil sie gar nicht existieren. Aber im Fall von Auferstehung war es sehr einfach. Die Frau auf dem Cover war meine Freundin und hatte zufälligerweise exakt diese spezielle Ausstrahlung, die ich benötigte. Eben weil, wie du schon gesagt hast, sie natürlicherweise sehr verletzlich und fragil wirkte, wobei sie tatsächlich in Realität das exakte Gegenteil davon war.
Diana: Für Nachtmahr hast du eine ganze Reihe beeindruckender Bilder kreiert. Für mich ist das verstörendste Werk immer „Wood“ gewesen, wo ein ganzer Schwarm Motten aus dem Mund einer jungen Frau strömt. Das Bild verfolgt mich richtiggehend. Wie kamst du auf die Idee zu diesem Werk?
Alessandro: Die Frage für mich war: „Wie kann ich visuell einen Sound sichtbar machen, der harmonisch und verlockend klingt aber gleichzeitig dunkel und schmerzerfüllt ist, so wie Dirks Timbre?“ Die sinnvollste Lösung erschien mir ein Schwarm von Motten zu sein. Dass war auch auf konzeptioneller Ebene sehr passend und passte grundsätzlich gut zur Musik von JANUS. Dasselbe gilt auch für die anderen Bilder mit den Schwänen und Gottesanbeterinnen; herrlich doppeldeutige Tiere, Symbole für das Licht von Sonne und Mond. Die Gottesanbeterin, als Geliebte und Scharfrichter, hat sogar fast dieselben Charakteristiken wie JANUS; ihr Abbild, ihre Metaphern und ihre Musik.
Diana: Im Rahmen des Labyrinthe Projekts hat RIG mir erzählt, dass er einmal auf der Suche nach einem weiblichen italienischen Vornamen für ein Lied über den ersten Weltkrieg suchte, das dann „Dorinas Bild“ wurde und dass du am Ende die Idee zu diesem Namen hattest. Stimmt das so?
Alessandro: Danke, dass du mich wieder an dieses Detail erinnerst. Ich hatte es ganz vergessen. Aber ja, wir hatten eine Liste von Namen und ich erinnere mich an verschiedene Optionen. Ich schlug Dorina vor. Ich dachte, dass dieser Name am besten in den Kontext des Liedes passte, denn über die Jahre hinweg geriet er in Vergessenheit, obwohl er am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts sehr geläufig war.
Diana: Das kommende JANUS Album Ein schwacher Trost nutzt Werke deiner aktuellen Bilderserie Aibohphobia. Diese Bilder unterscheiden sich stark von deinen bisherigen Arbeiten. Sie erinnern mich an lebende Rorschachbilder. Wie hast du diese Bilderserie in Angriff genommen? Welche Materialien hast du verwandt? Manche Elemente kommen einem bekannt vor, andere wiederum sind nur schwer zuzuordnen.
Alessandro: Die Serie wurde in der Tat vom Rorschach Test beeinflusst. Der Titel Aibophobia ist ein Wortspiel das eine Phobie vor Palindromen kennzeichnet. Man kann Aibophobia von rechts wie links lesen, so wie ein klassisches Palindrom, Radar zum Beispiel. In diesem Fall sind die die Bilder alle symmetrisch aufgebaut, mit dem einzigen Unterschied, dass dank fotografischer und digitaler Zaubertricks der Lichteinfall im gesamten Bild konsistent ist. Die Lichtquelle kommt immer aus einer einzigen Richtung im Gegensatz zu herkömmlich gespiegelten Bildern, die wir gewohnt sind, wo das Licht meist von links und rechts einfällt. Die Materialien sind übrigens alle real und organischer Natur, sprich pflanzlicher, tierischer oder mineralischer Herkunft.
Diana: Stimmt es, dass JANUS und du eine große Schwäche teilen, nämlich dass ihr nur schwer ein Ende findet? Während JANUS sich weigern, ihre Lieder freizugeben und unablässig neue Titel und Passagen zum Album hinzufügen, arbeitest du weiter an Aibohphobia, da dir immer neue Ideen in den Kopf schießen. Wann weißt du denn, dass eine Serie beendet ist und es an der Zeit ist, aufzuhören? Oder ist Kunst nie wirklich fertig?
Alessandro: Stimmt. Eine Arbeit abzuschließen ist eine utopische Vorstellung. Es würde bedeuten, dass man Perfektion erreicht hätte, aber wie wir alle wissen, existiert dieser Zustand nur als Idee. Es ist gut, sich dessen bewusst zu sein und dann zu entscheiden, wann es besser ist, aufzuhören. Selbst in der Kunst ist es so, dass etwas seine Reinheit verliert, wenn man zu lange daran arbeitet. Die künstlerische Seele manifestiert sich nur, wenn man sie aus dem Limbo hervorholt, wohin sie verbannt wurde; wo sie sichtbar wird, hinter der offensichtlichen Rohheit der Dinge. Dazu fällt mir ein italienischer Maler des achtzehnten Jahrhunderts ein, Giovanni Boldini, der sehr oft und klug viele seiner Arbeiten halbfertig belassen hat, so dass man sie als unvollständig bezeichnen könnte. Es war vermutlich seine ganz eigene Form der Perfektion.
Diana: Ein hervorragendes Schlusswort, Alessandro. Vielen herzlichen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast. Es war ein überaus interessantes Gespräch.
Die Kommentarfunktion ist derzeit deaktiviert.