13 Sep Rezension – Nachtmahr – Sweet Jane Music
JANUS, der römische Gott (Kind von Saturn und Entoria) hatte der Sage nach ein Doppelgesicht, das in verschiedene Richtungen blickte. Die beiden Gesichter des musikalischen Pendants heissen Tobias Hahn und Dirk Riegert und ensprechen ob ihres künstlerischen Zusammenspiels jedoch nicht dem römischen Symbol der Zwiespältigkeit, wie es der Januskopf symbolisiert. Vielmehr pflegen sich die beiden Herren regelmäßig musikalisch zu ergänzen; so auch auf ihrem neusten Output „Nachtmahr“, welches überraschend gerade mal ein Jahr nach dem letzten Album „Auferstehung“ erschien.
Auch diesmal hat der Hörer es mit einem Konzeptalbum zu tun; die Struktur des Werkes ist relativ klar gegliedert. Die ersten vier Songs schildern eindeutig Kriegs- und Nachkriegsszenarien, wobei sich Texter Riegert nicht selten Literaturvorlagen bedient. Brechts „Kinderkreuzzug“ ist hierbei wohl die prominenteste Referenz. Danach folgen zwei Überleitungsstücke, die eher weniger autobiographisch scheinen, bis schließlich die letzten fünf Lieder nicht so sehr eine Geschichte erzählen wie die ersten sechs, sondern vielmehr wie eine Bewältigung persönlicher Erfahrungen anmuten.
Und noch immer bleibt der Krieg allgegenwärtig: Nun ist er persönlicher Natur, ein Beziehungskrieg, ein zwischenmenschlicher Krieg. Vielleicht ist es ein Krieg der Wohlstandsgesellschaft, die sich nicht mit militärischer Gewalt konfrontiert sieht, sondern lediglich vergleichsweise triviale Konflikte handhaben muss. Diese Auseinandersetzungen sind natürlich um ein Vielfaches harmloser als die Schrecken eines realen Krieges, aber dennoch sind auch Beziehungsprobleme stressig und belastend und in ihrer Wirkung auf die Beteiligten ansatzweise mit einem Krieg zu vergleichen.
Genaugenommen ist es der zweite Weltkrieg, der zunächst thematisiert wird. „Ein Hund, der sich hinlegt, wo er will“ beschreibt die Erinnerungen eines versehrten, russischen Soldaten, der seine Zeit in Stalingrad Revue passieren lässt. „Anita spielt Cello“ stellt die Erlebnisse von Anita Lasker-Wallfisch, die zwei Konzentrationslager überlebte. Sicherlich handelt es sich hierbei um einen der bedrückendsten Songs von JANUS überhaupt. Ein wenig fühlte ich mich an „Du siehst aus wie immer“ (Auferstehung) erinnert, denn auch in diesem Song steigert sich die Verzweiflung mit jeder Strophe. Der Unterschied liegt wohl darin, dass bei „Anita spielt Cello“ zwischendurch die Dramatik wieder gedrosselt wird.
Weiter geht es mit dem bereits angesprochenen „Kinderkreuzzug“, der ebenfalls sehr bedrückend daherkommt. „Dorinas Bild“ schließt dann den ersten Teil des Albums ab. In diesem Song klammert sich der Protagonist an die schönen Seiten seiner Vergangenheit und findet schließlich Erlösung.
„Kadaverstern“, eine Coverversion von Heinz Rudolf Kunze schildert den Egoismus der Menschen aus anderen Augen, nämlich denen eines durch Tierversuche verendeten Tieres. Die Thematik passt sehr gut in den Kontext des Albums, die Vokabel „Weltgeschichte“ schließt den Kreis.
„Nellie“ ist das Streben nach Anonymität, ein neuer Beginn, der perfekt den zweiten Teil des Albums einleitet. Es folgen das bereits von der „Winterreise EP“ bekannte „Was uns zerbricht“ und die Ballade „Sag doch was“. „Grabenkrieg“ und „Die Ruhe selbst“ führen den eingeschlagenen Weg einer zerbrechenden Beziehung konsequent fort, während „Das (ebenfalls bekannte) Gesicht“ ein Ende der Geschichte offen lässt.
Damit wäre inhaltlich viel gesagt, doch wie sieht es nun mit einer Bewertung aus? Zunächst einmal ist für mich das Album, grob gesagt, gelungen. Stilistisch ist es so geworden, wie ich mir immer ein Album von JANUS gewünscht hatte: Klassisch instrumentiert, ohne Elektrospielereien oder elektronischen Instrumenten und mit viel Klavier. Letztlich trifft aber nicht immer alles meinen Geschmack.
Der Opener reißt mich nicht mit, ist textlich keine Offenbarung; er erzählt eine Geschichte, die man schon zu oft gehört hat. Die Originalität fehlt ein wenig, auch wenn die gewohnte Sprachästhetik vorhanden ist. „Anita spielt Cello“ ist besser, hat das gewisse Etwas und die bessere Melodie. Vielleicht handelt es sich hierbei bereits um das Highlight der Platte.
Dem „Kinderkreuzzug“ stehe ich etwas ratlos gegenüber. Einerseits ist die Geschichte zum Weinen traurig, andererseits scheint sich mir der Inhalt etwas zu oft dem Reimschema unterzuordnen. Irgendwann ging er verloren, das tat den andren weh. Sie riefen seinen Namen, doch um sie nichts als Schnee. Irgendwie fehlt mir dort die Genialität, vielleicht auch ein wenig das kryptische, das wenig Offensichtliche.
„Dorinas Bild“ überzeugt mich hingegen wieder, musikalisch wie textlich. Der Song scheint mir das gewaltigste zu sein, das JANUS je hervorgebracht hat. Der Refrain kommt mit einer unglaublichen Kraft daher. „Kadaverstern“ ist ebenfalls eine gelungene Coverversion. War das Original noch von Synthiesounds getragen, ist die JANUS -Version natürlich klassischer gestaltet und Riegert wirkt um einiges stimmgewaltiger als Kunze. „Nellie“ ist sehr ruhig und gefällt mir ebenfalls. Genauso wie „Was uns zerbricht“, das mit einem tollen, wenn auch an einigen Stellen etwas kitschigen Text daherkommt. „Sag doch was“ hingegen ist aus meiner Sicht eher schwach. Hier wird die Grenze zum Kitsch eindeutig überschritten. Sag doch was. Bitte, sag etwas. Ich hab genauso wenig Kraft wie du. Andere mögen es anders sehen, aber diesen Song finde ich wenig gelungen, obwohl ich normalerweise ein Freund klebriger Balladen bin. Vielleicht bin ich so etwas von JANUS einfach nicht gewöhnt. Vielleicht muss ich mich auch an den Song gewöhnen.
Auch „Grabenkrieg“ kann ich nicht viel abgewinnen. Das Duett beginnt gut und ist ein Ohrwurm.. vermag es dennoch kaum, mich mitzureissen. Mit „Die Ruhe selbst“ präsentieren sich JANUS wieder in Höchstform (nahezu). Die Lyrics sind mir zwar ein wenig zu reisserisch, aber die tolle Melodie macht diesen Nachteil wieder wett. Schließlich endet das Album mit einem meiner Lieblingssongs, nämlich dem „Gesicht“. Die wundervolle Melodie des Songs und Riegerts ebenfalls wundervolle Stimme sorgen für einen genialen Abschluss von „Nachtmahr“.
Als Fazit bleibt wohl zu sagen, dass es sich trotz einiger Schwächen um ein mehr als solides Album der Janüsse handelt. Letztlich überwiegen die guten Momente. „Auferstehung“ war aus meiner Sicht besser, aber „Nachtmahr“ folgt nicht weit dahinter.
Daniel Bieter für Sweet Jane Music
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